Im Rahmen unserer 11. Landestagung Schleswig-Holstein konnte der diesjährige Dissertationspreis des Deutschen Arbeitsgerichtsverbandes an Frau Dr. Charlotte Schindler übergeben werden.
Als Vertreter der Jury hat Prof. Dr. Martin Franzen, Ludwig-Maximlians-Universität München, die Laudatio gehalten, die wir im folgenden wiedergeben.
Wir gratusieren Frau Dr. Schindler sehr herzlich und freuen uns über Einreichungen für den Dissertationspreis 2025.
Wir gratusieren Frau Dr. Schindler sehr herzlich und freuen uns über Einreichungen für den Dissertationspreis 2025.
Laudatio
Dissertation Charlotte Schindler
„Zulässigkeit und Grenzen algorithmischer Systeme bei arbeitsrechtlichen Auswahlentscheidungen“
von Professor Dr. Martin Franzen, München
Es hat nun schon Tradition, dass auf der Landestagung des Deutschen Arbeitsgerichtsverbands im Herbst eines jeden Jahres der Dissertationspreis verliehen wird. Wie in den Vorjahren hat über den Preis eine Jury befunden. Die Jury besteht üblicherweise aus einigen professoralen Mitgliedern des Verbandsausschusses des Deutschen Arbeitsgerichtsverbands. Wie im letzten Jahr waren dieses Mal beteiligt Claudia Schubert (Universität Hamburg), Ulrich Preis (Universität zu Köln), Adam Sagan (Universität Bayreuth) und meine Person.
Die Jury musste unter sechs eingereichten Arbeiten auswählen. Dabei handelte es sich durchweg um sehr gute Arbeiten. Fünf von ihnen haben die Gutachter in den jeweiligen Promotionsverfahren mit der Bestnote summa cum laude bewertet – dazu gehört auch die schließlich ausgewählte Arbeit. Daher war die Letztentscheidung nicht ganz einfach. Die Wahl fiel im Ergebnis einmütig auf die Arbeit von Charlotte Schindler „Zulässigkeit und Grenzen algorithmischer Systeme bei arbeitsrechtlichen Auswahlentscheidungen“. Die Jury hat sich darauf allerdings ohne die Zuhilfenahme algorithmischer Systeme verständigt – also rein analog mit Hilfe eines Videokonferenzsystems. Die Arbeit entstand an der Bucerius Law School unter der Betreuung von Matthias Jacobs.
Worum geht es in der Arbeit? Sie behandelt, wie der Titel bereits klar aussagt, die rechtliche Einordnung algorithmischer Personalauswahlentscheidungen, also etwa bei der Einstellung, Beförderung oder Kündigung, und zwar unter drei rechtlichen Gesichtspunkten: Datenschutzrecht, also DS-GVO und gegebenenfalls BDSG, Antidiskriminierungsrecht, also AGG, und die zukünftige KI-Verordnung. Genau dies umschreibt auch der Untertitel der Arbeit. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt in den Worten der Verfasserin „auf den datenschutzrechtlichen Fragestellungen beim Training und Einsatz algorithmischer Systeme“ (S. 4). Nicht untersucht hat Frau Schindler das neu entstandene Datenwirtschaftsrecht der EU, also etwas Data Act, Data Governance Act, Digital Service Act und den Digital Market Act. Die Arbeit ist auch ohne derartige Betrachtungen mit ca. 420 Textseiten umfangreich genug. Die Arbeit besteht dementsprechend aus vier Teilen, einer höchst lesenswerten Einführung in algorithmische Systeme und dann die juristischen Teile Datenschutzrecht, AGG und KI-Recht.
Ich möchte zwei Fragestellungen der Arbeit exemplarisch herausgreifen:
Beim Datenschutzrecht – dem umfangreichsten Teil der Arbeit mit ca. 230 Seiten – fand ich besonders interessant die Analyse des Art. 22 DS-GVO, der Vorgaben für die automatisierte Einzelentscheidung aufstellt (S. 205 ff.). Grundsätzlich verboten und nur ausnahmsweise erlaubt sind danach automatisierte Entscheidungen, die gegenüber der betroffenen Person rechtliche Wirkung entfalten, soweit die Entscheidung ausschließlich auf automatisierten Verfahren beruht. Nach meiner Einschätzung wird diese datenschutzrechtliche Vorschrift für Anwendungen Künstlicher Intelligenz sehr wichtig werden. Hier ist vieles umstritten und aufgrund des Schufa-Urteils des EuGH auch noch im Fluß – dieses Urteil vom 7. 12. 2023 konnte Frau Schindler nicht mehr berücksichtigen – Redaktionsschluss der Arbeit war November 2023. Bei Art. 22 DS-GVO fordert Frau Schindler für den Begriff der Entscheidung eine gewisse Komplexität, weshalb die Verwendung algorithmischer Systeme für die Sichtung von Stellenbewerbungen nach vorgegebenen objektiven und eher formalen Kriterien, beispielsweise der Abschlussnote, schon gar nicht in den Anwendungsbereich des Art. 22 DS-GVO fällt (S. 213 f.).
Beim AGG will Frau Schindler beispielsweise die Darlegungs- und Beweislastvorschrift des § 22 AGG nachschärfen, wenn algorithmische Systeme verwendet werden (S. 321 ff.) – eine für die Praxis ganz wichtige Frage. Für die primäre Darlegungslast nach § 22 AGG soll es genügen, wenn die sich benachteiligt fühlende Person die Verwendung eines algorithmischen Systems bei der Entscheidungsfindung vorträgt. Die Arbeitgeberin erfüllt dann die Anforderungen an die sekundäre Darlegungs- und Beweislast, wenn sie vorträgt, dass das System den Transparenz- und Fairnessanforderungen genügt und gegebenenfalls über besondere Zertifizierungen verfügt. Die Einzelheiten sind nun in der KI-Verordnung niedergelegt. Diese Verordnung – in Kraft getreten am 2. 8. 2024 - konnte Frau Schindler nicht mehr berücksichtigen. Stattdessen hat sich Frau Schindler mit den einzelnen Vorschlägen zur KI-Verordnung von EU-Kommission, Parlament und Rat auseinandergesetzt.
Warum hat sich die Jury gerade für diese Arbeit entschieden? Aus meiner Sicht waren vor allem zwei Punkte ausschlaggebend: Erstens: Die Arbeit betritt im wahrsten Sinne des Wortes „Neuland“ – der Gegenstand ist bislang noch nicht besonders ausführlich untersucht und dürfte ein wichtiges Zukunftsfeld darstellen. Zweitens und damit verbunden: Die Arbeit greift neuartige tatsächliche technische Entwicklungen auf und behandelt ein Phänomen im Schnittfeld mehrerer nicht nur arbeitsrechtlicher Rechtsgebiete: Antidiskriminierungsrecht, Datenschutzrecht sowie das systematisch zum Produktsicherheitsrecht gehörende Recht der Künstlichen Intelligenz, wie es sich nun in der KI-VO findet. Dass die Passagen über die einzelnen Vorschläge zur KI-VO nicht mehr ganz aktuell sind, hat die Jury nicht davon abgehalten, die Arbeit als preiswürdig anzusehen – im Gegenteil: Dieses Rechtsgebiet steht ohnehin erst am Beginn einer vermutlich dynamischen Entwicklung. Wollen wir allerdings hoffen, dass die EU nicht nur Vorreiter bleibt bei der Entwicklung des KI-Rechts, sondern auch bei der Entwicklung von KI selbst gegenüber den USA und der Volksrepublik China aufholt.
Und warum sollten Sie die Arbeit lesen? Vielleicht ist es nicht notwendig, die ganze Arbeit zu lesen. Aber wenn Sie einen allgemein verständlichen Überblick über die technische Seite künstlicher Intelligenz haben möchten, dann lesen Sie den ersten Teil der Arbeit – etwa 40 Seiten. Etwas konziseres und verständlicheres als diese Darstellung von Frau Schindler zur Thematik ist mir noch nicht begegnet.
Herzlichen Glückwunsch an Frau Schindler!
„Zulässigkeit und Grenzen algorithmischer Systeme bei arbeitsrechtlichen Auswahlentscheidungen“
von Professor Dr. Martin Franzen, München
Es hat nun schon Tradition, dass auf der Landestagung des Deutschen Arbeitsgerichtsverbands im Herbst eines jeden Jahres der Dissertationspreis verliehen wird. Wie in den Vorjahren hat über den Preis eine Jury befunden. Die Jury besteht üblicherweise aus einigen professoralen Mitgliedern des Verbandsausschusses des Deutschen Arbeitsgerichtsverbands. Wie im letzten Jahr waren dieses Mal beteiligt Claudia Schubert (Universität Hamburg), Ulrich Preis (Universität zu Köln), Adam Sagan (Universität Bayreuth) und meine Person.
Die Jury musste unter sechs eingereichten Arbeiten auswählen. Dabei handelte es sich durchweg um sehr gute Arbeiten. Fünf von ihnen haben die Gutachter in den jeweiligen Promotionsverfahren mit der Bestnote summa cum laude bewertet – dazu gehört auch die schließlich ausgewählte Arbeit. Daher war die Letztentscheidung nicht ganz einfach. Die Wahl fiel im Ergebnis einmütig auf die Arbeit von Charlotte Schindler „Zulässigkeit und Grenzen algorithmischer Systeme bei arbeitsrechtlichen Auswahlentscheidungen“. Die Jury hat sich darauf allerdings ohne die Zuhilfenahme algorithmischer Systeme verständigt – also rein analog mit Hilfe eines Videokonferenzsystems. Die Arbeit entstand an der Bucerius Law School unter der Betreuung von Matthias Jacobs.
Worum geht es in der Arbeit? Sie behandelt, wie der Titel bereits klar aussagt, die rechtliche Einordnung algorithmischer Personalauswahlentscheidungen, also etwa bei der Einstellung, Beförderung oder Kündigung, und zwar unter drei rechtlichen Gesichtspunkten: Datenschutzrecht, also DS-GVO und gegebenenfalls BDSG, Antidiskriminierungsrecht, also AGG, und die zukünftige KI-Verordnung. Genau dies umschreibt auch der Untertitel der Arbeit. Der Schwerpunkt der Betrachtung liegt in den Worten der Verfasserin „auf den datenschutzrechtlichen Fragestellungen beim Training und Einsatz algorithmischer Systeme“ (S. 4). Nicht untersucht hat Frau Schindler das neu entstandene Datenwirtschaftsrecht der EU, also etwas Data Act, Data Governance Act, Digital Service Act und den Digital Market Act. Die Arbeit ist auch ohne derartige Betrachtungen mit ca. 420 Textseiten umfangreich genug. Die Arbeit besteht dementsprechend aus vier Teilen, einer höchst lesenswerten Einführung in algorithmische Systeme und dann die juristischen Teile Datenschutzrecht, AGG und KI-Recht.
Ich möchte zwei Fragestellungen der Arbeit exemplarisch herausgreifen:
Beim Datenschutzrecht – dem umfangreichsten Teil der Arbeit mit ca. 230 Seiten – fand ich besonders interessant die Analyse des Art. 22 DS-GVO, der Vorgaben für die automatisierte Einzelentscheidung aufstellt (S. 205 ff.). Grundsätzlich verboten und nur ausnahmsweise erlaubt sind danach automatisierte Entscheidungen, die gegenüber der betroffenen Person rechtliche Wirkung entfalten, soweit die Entscheidung ausschließlich auf automatisierten Verfahren beruht. Nach meiner Einschätzung wird diese datenschutzrechtliche Vorschrift für Anwendungen Künstlicher Intelligenz sehr wichtig werden. Hier ist vieles umstritten und aufgrund des Schufa-Urteils des EuGH auch noch im Fluß – dieses Urteil vom 7. 12. 2023 konnte Frau Schindler nicht mehr berücksichtigen – Redaktionsschluss der Arbeit war November 2023. Bei Art. 22 DS-GVO fordert Frau Schindler für den Begriff der Entscheidung eine gewisse Komplexität, weshalb die Verwendung algorithmischer Systeme für die Sichtung von Stellenbewerbungen nach vorgegebenen objektiven und eher formalen Kriterien, beispielsweise der Abschlussnote, schon gar nicht in den Anwendungsbereich des Art. 22 DS-GVO fällt (S. 213 f.).
Beim AGG will Frau Schindler beispielsweise die Darlegungs- und Beweislastvorschrift des § 22 AGG nachschärfen, wenn algorithmische Systeme verwendet werden (S. 321 ff.) – eine für die Praxis ganz wichtige Frage. Für die primäre Darlegungslast nach § 22 AGG soll es genügen, wenn die sich benachteiligt fühlende Person die Verwendung eines algorithmischen Systems bei der Entscheidungsfindung vorträgt. Die Arbeitgeberin erfüllt dann die Anforderungen an die sekundäre Darlegungs- und Beweislast, wenn sie vorträgt, dass das System den Transparenz- und Fairnessanforderungen genügt und gegebenenfalls über besondere Zertifizierungen verfügt. Die Einzelheiten sind nun in der KI-Verordnung niedergelegt. Diese Verordnung – in Kraft getreten am 2. 8. 2024 - konnte Frau Schindler nicht mehr berücksichtigen. Stattdessen hat sich Frau Schindler mit den einzelnen Vorschlägen zur KI-Verordnung von EU-Kommission, Parlament und Rat auseinandergesetzt.
Warum hat sich die Jury gerade für diese Arbeit entschieden? Aus meiner Sicht waren vor allem zwei Punkte ausschlaggebend: Erstens: Die Arbeit betritt im wahrsten Sinne des Wortes „Neuland“ – der Gegenstand ist bislang noch nicht besonders ausführlich untersucht und dürfte ein wichtiges Zukunftsfeld darstellen. Zweitens und damit verbunden: Die Arbeit greift neuartige tatsächliche technische Entwicklungen auf und behandelt ein Phänomen im Schnittfeld mehrerer nicht nur arbeitsrechtlicher Rechtsgebiete: Antidiskriminierungsrecht, Datenschutzrecht sowie das systematisch zum Produktsicherheitsrecht gehörende Recht der Künstlichen Intelligenz, wie es sich nun in der KI-VO findet. Dass die Passagen über die einzelnen Vorschläge zur KI-VO nicht mehr ganz aktuell sind, hat die Jury nicht davon abgehalten, die Arbeit als preiswürdig anzusehen – im Gegenteil: Dieses Rechtsgebiet steht ohnehin erst am Beginn einer vermutlich dynamischen Entwicklung. Wollen wir allerdings hoffen, dass die EU nicht nur Vorreiter bleibt bei der Entwicklung des KI-Rechts, sondern auch bei der Entwicklung von KI selbst gegenüber den USA und der Volksrepublik China aufholt.
Und warum sollten Sie die Arbeit lesen? Vielleicht ist es nicht notwendig, die ganze Arbeit zu lesen. Aber wenn Sie einen allgemein verständlichen Überblick über die technische Seite künstlicher Intelligenz haben möchten, dann lesen Sie den ersten Teil der Arbeit – etwa 40 Seiten. Etwas konziseres und verständlicheres als diese Darstellung von Frau Schindler zur Thematik ist mir noch nicht begegnet.
Herzlichen Glückwunsch an Frau Schindler!